Der Franzose Jules Déjerine formulierte vor mehr als hundert Jahren die Hypothese, nach der das menschliche Gehirn eine eigene Region für das Erkennen zusammenhängender Wortformen besitzt.
Seinem Kollegen Laurent Cohen vom Hôpital de la Salpêtrière in Paris bot sich nun eine seltene Möglichkeit, dies zu überprüfen: Ein Epilepsie-Patient sollte, um sein Leiden zu lindern, am Gehirn operiert und ihm dort Gewebe in der Nähe der sog. „Visual Word Form Area“€œ (nachfolgend VWFA) im hinteren oberen Teil der linken Hirnhälfte entfernt werden.
Zuvor hatten Cohen und seine Kollegen sechs Elektroden an dieser Stelle tief im Gehirn angebracht und den Patienten Wörter lesen lassen. Die Forscher nahmen unterdessen die Zeit, welche der Patient benötigte. Dass diese nicht von der Anzahl der Buchstaben abhängt, bestätigte die bisherige Lehrmeinung, dass das menschliche Gehirn Wörter als Ganzes wahrnimmt.
Sowohl die Elektroden im Gehirn als auch ein Bild aus dem Magnetresonanztomographen zeigten rege Aktivität in der VWFA.
Überraschendes kam nach der Operation zu Tage. Die Neurologen wiederholten dieses Experiment und stellten fest, dass die Lesegeschwindigkeit nun sehr wohl von der Länge der Wörter abhing, sie war auch insgesamt wesentlich langsamer. In der VWFA zeigte ein Magnetresonanzscan keinerlei Aktivität während der Patient las. Offenbar wurde diese Region bei der Operation beschädigt.
Dem Spiegel sagte Lionel Naccache aus dem o.g. Forscherteam, das hiermit bewiesen sei, „€ždass echte Leseprozesse auf halbem Wege zwischen Sehen und Sprachverarbeitung anfangen“€œ würden. „Damit haben wir die kausale Rolle dieser Region für das Lesen gezeigt.“
Der Neurowissenschaftler Alex Martin spricht gar von „zwingenden Belegen für die Auffassung, die Déjerne bereits vor hundert Jahren vertreten hat“€œ, nämlich dass das Hirn eine eigene Region für das Erkennen ganzer Wörter besitzt. Es erstaune ihn allerdings sehr, dass „eine derartig spezialisierte Hirnregion einer evolutionär so jungen Fähigkeit wie dem Lesen“ gewidmet sei.
Ich habe mich lange Zeit näher mit dem „mentalen Lexikon“€œ und dort vor allem mit Jean Aitchisons groÃßartigem Buch: „Words in the Mind.“ beschäftigt, in welchem sie feststellt: „Das mentale Lexikon enthält ganze Wörter„; diese bestehen aus Lemmata (Bedeutung und Wortarten) und Wortformen (Lautung).
Es soll in einem späteren Artikel weiterführende Informationen zur Psycholinguistik und dem mentalen Lexikon geben. Heute empfehle ich Ihnen allerdings noch folgende Webseiten:
- Fachblatt „Neuron“ zum Thema
- Nachwuchsgruppe Neurolinguistik an der Universität Marburg
- Aphasien als Gegenstand der Neurolinguistik
- Organisation des mentalen Lexikons bilingualer Sprecher
- Jean Aitchison – „Wörter im Kopf“ kaufen